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Spirituelle Psychologie

Jenseits von Therapie

Freiheit ist, wenn man keine Angst vor irgendeinem Gefühl hat, ob Trauer oder Glück.“ (Tori Amos)

Spiritualität bekommt in neuester Zeit eine immer größere Bedeutung. Wolfgang Schmidbauer, einer der bekanntesten deutschsprachigen Psychoanalytiker und Autoren, zitierte auf seiner Webseite die Aussage einer Ärztin aus einem seiner Seminare: „Ich sage es Ihnen ganz ernsthaft, denken Sie darüber nach: In zwanzig Jahren wird es nur noch spirituelle Therapie geben, keine Psychotherapie mehr.“

Psychotherapie und Spiritualität sind zwei unterschiedliche Wege der Entwicklung: So hat die Psychotherapie das Ziel, Probleme auf der Symptom-Ebene zu lösen, indem sie das Selbstbewusstsein stärkt, die Selbstliebe aktiviert und auf diese Weise die Selbstverwirklichung fördert. Die spirituellen Wege hingegen wollen uns zum Selbst führen und Erwachen ermöglichen.

Oft wurden diese beiden Ziele vermischt in der Meinung, dass sie beide im Grunde das Gleiche seien. Doch der Weg zum Selbst oder das Erwachen gehen weit über das hinaus, was die Psychotherapie erreichen will. Die spirituelle Entwicklung beginnt erst jenseits der Psychotherapie – und zwar indem das Ich transzendiert, das Bewusstsein vollkommen transformiert wird. Dabei ist der Verstand still und jegliches Denken wie: „Werde ich anerkannt? Werde ich geliebt? Wird es mir gut gehen?“, wird angehalten, während das praktische Denken bei Bedarf zur Verfügung steht.

Wenn wir annehmen was ist, ist der Kampf, den wir bis zum jetzigen Zeitpunkt geführt haben, zu Ende. Wir sind unser Leben lang vor tiefen Gefühlen davongelaufen oder haben diese verdrängt. Halten wir an und geben uns vollkommen den Gefühlen hin, können wir zu unserer wahren Natur zurückfinden.

Dieser Weg beinhaltet, dass wir den Widerstand aufgeben – dass wir nichts tun und still sind -, das heißt, dass wir den gegenwärtigen Augenblick annehmen, so wie er sich uns zeigt. Die Mystiker nannten das, was dann geschieht, den „mystischen Tod“, der uns in die Freiheit führt. Die Erfahrung dieses Zustandes liegt jenseits der Welt der Sinne und des Intellekts. Gefühle werden stärker erlebt wenn der Atem schneller geht. Im Gegensatz dazu nimmt die Erfahrung der tiefen Stille und des GIücks zu, während der Atem langsamer ist.

In der Psychotherapie werden die verschiedenen Arten von Gefühlen – wie etwa in der Körper- und in der Gastalttherapie – im Innen in Form von Gedanken und Bildern erinnert, erneut durchlebt und ausagiert. Bei den verschiedenen Wegen der Meditation aus dem Osten werden dagegen die Gefühle nur beobachtet, nicht gefühlt. In diesem Fall führt meditieren weg vom lebendigen Erleben. Das kann zu einer Dissoziation von den Gefühlen führen. Osho hat dieses große Problem erkannt. Aber das von ihm entwickelte Nebeneinander von Therapie und Meditation war auch nicht immer hilfreich.

Der neue Weg, mit Gefühlen und tieferen Erfahrungen umzugehen, besteht nach Christian Meyer und Eli Jaxon-Bear darin, dem Gefühl Raum zu geben, vollständig zu fühlen, ohne etwas damit zu machen. Diese Methode führt dazu, dass jedes Gefühl innerhalb von kurzer Zeit „verbrennt“, sich gleichsam auslöscht. Ist ein Gefühl aufgelöst, so ist es wichtig, auf dieser tieferen Gefühls- und Erfahrungsebene zu bleiben und wahrzunehmen, welches Gefühl nun vielleicht noch aufsteigen will oder wie die Erfahrung von Stille und Frieden ist, die unter dem Gefühl liegt. Die Existenzialisten haben einige dieser Zusammenhänge bereits gekannt. Doch sie ahnten nicht, dass darunter ein noch tieferer Grund zu finden ist – „ein unendlich tiefer göttlicher Grund“, wie ihn der Mystiker: Johannes Tauler schon im 14. Jahrhundert beschrieben hat.

Diese Gefühlsarbeit ist einmalig in der Psychotherapie und macht es möglich, Schicht für Schicht tiefer zu uns selbst zu finden und zu erkennen, dass wir Unendlichkeit und Frieden selbst sind. Oft ist dieser Prozess auch mit dem Gefühl verbunden, immer tiefer zu fallen. Werden diese Unendlichkeit, der Frieden und die bedingungslose Liebe erlebt, dann spricht man von „Erwachen“. Danach beginnt eine Integration der Erfahrung des tiefen Weges zum Selbst, die einige Jahre dauern kann.

Auf dem Weg zum Selbst kann mit psychotherapeutischer Arbeit viel erreicht werden: Sie mag es ermöglichen, den Zugang zu den existentiellen Gefühlen zu finden, so dass der Körper durchlässig werden kann, wobei sich Blockierungen lösen und der Atem frei wird. Wichtig ist es außerdem, sich mit der Vergangenheit zu versöhnen, damit die gesamte Energie für die Gegenwart im Hier und Jetzt verfügbar ist.

Mit der freundlichen Genehmigung von Karl Georg Breit: “Heilen der Seele”, Hans Nietsch Verlag

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